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Chemsex im Fokus
Rubrik

Chemsex im Fokus Soziale Faktoren erschweren den Ausstieg aus der Szene

ms - 19.01.2023 - 14:00 Uhr
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Intensiver Rausch, ein höheres Lustempfinden, ein stärkeres Gefühl der Zugehörigkeit und der Abbau sexueller Hemmungen – das sind die wesentlichen Motive, warum schwule und bisexuelle Männer (MSM) zu Chemsex-Drogen (Fachbegriff Slamming) greifen.

Breite Studie unter Homosexuellen

Im Detail untersuchte Thijs Albers zusammen mit Kollegen an der Universität Utrecht in seiner Studienarbeit mit dem Titel "Meth, Sex, Health and Pleasure" den Umgang von homosexuellen Männern mit Drogen beim Sex und die wahrgenommenen Vorteile des Slammens. Dazu interviewten sie in einer repräsentativen Umfrage schwule und bisexuelle niederländische Männer im Alter von 22 bis 75 Jahren – darunter sowohl Singles wie Pärchen, Männer vom Land genauso wie aus der Großstadt. Beim Chemsex kommen verschiedene Substanzen zum Einsatz, darunter GHB/GBL, Mephedron, MDMA und in geringerem Maße auch Kokain und Ketamin. Mittels intravenöser Injektionen (Slamming) kommt zudem auch Crystal Methamphetamin (auch bekannt als Crystal Meth, Tina und Ice) zum Einsatz.

10 Prozent praktizieren regelmäßig Chemsex

Die Studie kommt aus Sicht von Gesundheitsexperten zur rechten Zeit, denn der Drogenkonsum gerade unter MSM steigt wieder an. Aufgrund der zunehmenden Besorgnis über Chemsex hat die EU-Drogenstrategie 2021-2025 zum ersten Mal jetzt auch LGBTI*-Personen explizit einbezogen. Sie betont, wie wichtig es ist, die Vielfalt der Menschen, die Drogen konsumieren, anzuerkennen. Zuletzt gaben 15 Prozent der schwulen und bisexuellen Männer (EMIS-Umfrage) aus Europa an, Chemsex gehabt zu haben, rund zehn Prozent praktizieren dies regelmäßig.

Grenzenloser Rausch

Sowohl um adäquate Hilfestellung wie aber auch um möglicherweise eine verbesserte Prävention anbieten zu können, ist der Blick auf die Motive der Chemsex-Nutzer von zentraler Bedeutung. Forschungsleiter Albers unterteilte diese in individuelle und soziale Faktoren, die zum Slammen motivieren. Viele Teilnehmer beschrieben den Rausch und das Vergnügen, das nach der Injektion eintritt, sowie die Entgrenzung, die eine sexuelle Erkundung ermöglicht, als Hauptmotivation für das Slammen. Im Interview sagte so ein 29-jähriger Studienteilnehmer: "Nach einem Slam Tina lösen sich alle Grenzen auf. Die Wirkung ist intensiv und euphorisch." Immer wieder vielen dabei Wörter wie "intensiv", "geil", "überwältigend" und "perfekt", um die Gefühle nach dem Slammen zu beschreiben.

Der Rausch wird zur Sucht

"Viele Slammer werden süchtig nach diesem Ritual. Der starke Rausch, nach dem man sich sehnt oder den man in der anderen Person entstehen sieht. Nach einem Slam sinkt die Stimme um ein paar Oktaven und man nimmt eine andere Körperhaltung ein. Das hat etwas Animalisches, das finde ich erotisch“, so ein weiterer Studienteilnehmer (44), der dabei auf den Punkt bringt, warum es so vielen regelmäßigen Nutzern von Chemsex schwerfällt, davon wieder abzulassen – der Rausch wird zur Sucht. Daneben zeigte sich in der Studie auch, dass durch den Drogenkonsum für viele Männer Hemmungen wegfallen, sie offener sind für verschiedene sexuelle Praktiken oder auch spezielle sexuelle Praktiken wie beispielsweise das Fisting leichter umgesetzt werden können. Einige erwähnten sogar, wie das Slammen ihre Wahrnehmung eines Sexualaktes verändern kann.

„Sei keine Spaßbremse!“ – der soziale Druck erschwert den Ausstieg

Soziale Faktoren

Daneben spielen aber auch soziale Faktoren eine immer größere Rolle, vor allem, seitdem sich Slammer online leichter zusammenfinden können. Die Verbindungen und Netzwerke, die über das gemeinsame Interesse am sexualisierten Drogenkonsum oder insbesondere am Slammen entstehen, sind dabei nicht mehr nur sexueller Natur. "Eine Slam-Session ist auch eine soziale Aktivität und schafft Verbindung. Auf diese Weise können tiefe Gespräche entstehen, man spricht über das Glück des anderen und manchmal auch über den Schmerz des Lebens. Auf diese Weise baut man eine Freundschaft auf“, so ein 56-jähriger Studienteilnehmer.

Einverständnis schwindet

Selbstkritisch zeigt sich dabei allerdings auch, dass die dadurch entstehenden Freundschaften auf der anderen Seite auch einen großen sozialen Druck ausüben, mit dem Slammen weiterzumachen. Zudem bestätigten viele Studienteilnehmer, dass unter einem derartigen Drogeneinfluss es immer schwerer einzuschätzen ist, ob es beim Sex wirklich ein Einverständnis über diverse sexuelle Praktiken gibt. Für Studienleiter Albers ist klar, dass die Strategien und Programme, die darauf abzielen, die mit dem Substanzkonsum verbundenen Schäden zu verringern, sich auf die Erfahrungen der Konsumenten stützen müssen, wenn sie langfristig erfolgreich sein wollen.

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